Ja, liebe Schwestern und Brüder, Liebe ist schön und Liebe macht schön. Verliebten und geliebten Menschen ist das durchaus anzusehen. Was aber hat die Liebe mit Weisheit zu tun?

Schon der Kirchenvater Augustinus verstand die Weisheit als Garantin für gelingendes Leben und Glück. Und die meisten Menschen verbinden Weisheit mit Alter und Lebenserfahrung. Jedoch wissen wir, dass diese nicht immer zu Weisheit und Seelenruhe führen. Viele Menschen sind durch ihre Erfahrungen bitter oder deprimiert, traurig oder verzweifelt, zynisch oder aggressiv geworden. Das ist nicht schön – und macht das Leben schwer.

Offenbar ist es eine Frage der Perspektive, aus der ich auf mein Leben, meine Mitmenschen und auf die Welt schaue. Unser Monatsspruch lässt mich an ein anderes Wort denken, das ebenfalls der Weisheitsliteratur der Bibel entnommen ist: „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn auf allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“ (Sprüche 3, 5 und 6)

Der Monatsspruch begleitet mich durch die letzten Wochen meines Dienstes in der Herrnhuter Diakonie. Zum 1. Oktober werde ich in den Ruhestand treten. An dieser Schwelle frage ich mich, was mein Leben geprägt, mit Sinn erfüllt und bereichert hat. In beruflicher Hinsicht waren es vor allem die vielen Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen. Wie oft habe ich gestaunt über die Fülle der Begabungen und Kulturen, die Vielfalt der Temperamente und Prägungen, die geniale Verrücktheit oder solide Biederkeit mancher Zeitgenossen sowie nicht zuletzt über die verschiedenen Dialekte des Glaubens! Aus diesem Staunen ist häufig eine tief empfundene Liebe zu den Menschen gewachsen, die uns gemeinsam bereichert und verbunden hat. Für diese lebendige Gemeinschaft in der Herrnhuter Diakonie bin ich von Herzen dankbar. Sie war nicht immer konfliktfrei, und es gab auch Enttäuschungen und Verletzungen. Aber in Gemeinschaft wirkt Gottes Geist. Er schenkt Verständnis und ermöglicht Vertrauen. Das ist schön.

Wenn ich auf die fast 13 Jahre meines beruflichen Wegs an den verschiedenen Standorten der Stiftung blicke, ist die wichtigste Erfahrung die der liebevollen und achtsamen Begegnungen mit weisen Menschen unterschiedlichen Alters und Behinderungsgrades. Mit ihnen durfte ich Gemeinschaft gestalten und viel Schönes genießen. Für dieses Geschenk danke ich allen Kindern, Frauen und Männern, die in der Herrnhuter Diakonie leben, lernen und arbeiten, sowie allen Gemeindegliedern und Nachbarn, Netzwerkpartnern und Unterstützern herzlich.

Vom wechselseitigen Dienen aus dem Geist der Liebe sind unser Ort und unsere Kirche seit mehr als 300 Jahren geprägt. Mit Weisheit, Fantasie und Mut werden wir auch in Zukunft unser Gemeinwesen inklusiv und lebenswert gestalten – und uns an der Schönheit freuen, die Gott uns geschenkt hat. So setzen sich Lebensströme und Segensströme in veränderter Gestalt – aber demselben Geist fort.

In einem Festgottesdienst am 17. September um 16.00 Uhr im Kirchensaal werde ich verabschiedet, und Bruder David Heuckeroth wird als Theologischer Vorstand der Stiftung Herrnhuter Diakonie eingeführt werden. Dazu, wie auch zu dem Jahresfest am 18. September, seid Ihr alle, liebe Schwestern und Brüder, herzlich eingeladen. Wir freuen uns auf die Feier schöner Gottesdienste und fröhlicher Feste!

Euer Bruder Volker Krolzik